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Unter Fremden
Ins Netz gestellt am 28. Februar 2013
»Michael scowled towards the villagers. ‘They are silly superstitious people. In the olden days our ancestors used to offer the severed head of their enemy in sacrifice to the ghostly spirits for them to eat.The most prized food of ghosts was the eye. And even though our victim’s head in the hut has not been severed, the gouged eyes—’«
Schwierigkeiten und Missverständnis sind bei diesen kulturellen Unterschieden vorgezeichnet. Dazu kämpft Louisa bei der Ermittlung in einem Mordfall gegen die Vorurteile der männerdominierten Polizei in South Tarawa. Joe, ein Händler und Exporteur von Haifischflossen, wird in einer Lagerhütte des Ambo Lagoon Clubs ermordet aufgefunden. Erstochen mit einem nach Kiribati-Tradition geschnitzten Messer, fehlen seiner Leiche die Augen. Für die I-Kiribati ein klares Zeichen: Die Augen der Toten sind Nahrung für die Götter und Geister. Im wahrsten Sinne des Wortes kein gutes Omen für die Aufklärung des Falles. Da die örtliche Polizei unterbesetzt ist – ein Teil der Ordnungshüter weilt auf einer Beerdigung, der andere Teil befindet sich zu einer Fortbildung in Australien – wird Louisa kurzerhand mit den Ermittlungen betreut.
Auf Tauchgang
Noch am Tatort trifft Louisa auf Jill, die von der aufgebrachten Meute für die Mörderin von Joe gehalten wird. In letzter Not kann sie die junge Frau – wie Louisa eine “Expat” – vor der Lynchjustiz retten. Doch Jill erweist sich als undankbare Zeugin und verweigert die Aussage zu den Vorgängen im Club. Immerhin führt sie Louisa zu einer kleinen Gruppe von Briten, die ebenfalls als “Expats” auf Kiribati leben. Darunter auch Paul, der Ehemann von Jill. Er hat angeblich ein Verhältnis mit einem einheimischen Mädchen. Nur kurze Zeit später ist auch Jill tot – erschlagen in ihrem Haus. Louisa steckt in ihren Ermittlungen fest, den Paul, der jetzt natürlich in Verdacht gerät, kann nicht der Mörder sein. Und schon bald stellt sich ein weiterer Todesfall, der angeblich ein Unfall war, als Mord heraus.
Marianne Wheelaghan überrascht mit einigen Wendungen in ihrem Krimiplot. Geschickt lässt sie ihre Ermittlerin eine Spur nach der anderen folgen, um dabei immer wieder in abenteuerliche bis gefährliche Situationen zu geraten. Ein Tauchgang etwa, bei dem Louisa Haien begegnet oder die bereits erwähnte Überfahrt zu einer Nachbarinsel, die sie fast das Leben kostet. Reichlich Dramatik, die Marianne Wheelaghan hier auffährt und dennoch ist es keine Action um der Action willen. Sie verknüpft dramatische Situationen einfallsreich mit dem exotischen Setting und dem Aufprall der Kulturen. Sie beschreibt die Schönheit des Insel, die Freundlichkeit der Bewohner, aber auch die Armut und den anachronistischen Aberglauben. Ihre Ermittlerin, die sie hier so gelungen in Szene setzt, hat dazu noch einige Macken. Ihr Waschzwang und ihre Furcht vor Keimen machen Louisa zu schaffen, ausgerechnet in schwülen Hitze Kiribatis, wo regelmäßig der Strom ausfällt und deshalb die Wasserpumpen streiken. Es sind diese nebensächlich Dinge, die im Zusammenspiel mit Figur und Setting für Spannung sorgen. Zudem schildert Wheelaghan dies in einer exakten Sprache, glaubwürdig und ohne Effekthascherei erzählt. Der Waschzwang ihrer Heldin ist keine typischer Ermittlertick, wie er mittlerweile ja schon zum Grundausstattung eines jeden Krimi-Ermittlers gehört, sondern er ist Teil einer überzeugenden Figurenzeichnung.
Faszinierende Figuren vor exotischer Kulisse
Wheelaghan hat ein sicheres Händchen für interessante Figuren: Die Gruppe der “Expats”, deren Inselleben sie in einem doppelten Sinne zeichnet, denn sie leben nicht nur auf einer Insel, sondern schotten sich in einer Enklave mehr oder weniger von den Einheimischen ab. Im Gegensatz dazu stehen die Fischer und Taucher rund um “Dave den Fisch”, allesamt robuste Burschen, sowie Reteta, die Haushälterin von Louisa, samt Schwein und großer Familie. Wie selbstverständlich lädt Reteta ihren gesamten Clan zum gemeinsamen Fernsehschauen bei Louisa ein, was auf wenig Verständnis bei Louisa stößt. Familie hat Vorrang bei den I-Kiribati, eine Einstellung, die Louisa, im Dauerclinch mit ihrer Mutter, nicht nachvollziehen kann.
Es sind, kurz gesagt, die Gegensätze der Figuren, die temporeiche Erzählung und die kunstvoll arrangierte Dramatik vor einem exotischen Setting, die diesen Debüt-Krimi von Marianne Weelagahn auszeichnen. Weelagahn, deren erster Roman The Blue Suitecase in Hitler-Deutschland spielt, startet mit Food of Ghosts gelungen eine neue Krimiserie, die sicher auch – ganz ohne Aberglaube – eine deutsche Übersetzung lohnen würde.
WAS SIE NOCH WISSEN SOLLTEN
Gelesen habe ich die englischsprachige E-Book-Ausgabe, die mir freundlicherweise von der Autorin zur Verfügung gestellt wurde. Es gibt auch eine gedruckte Ausgabe.
Die bibliographischen Angaben:
Marianne Wheelaghan: Food of Ghosts. – Edinburg : Pilrig Press, 2012. – ISBN 978-0-9566144-4-5
Ich stehe mit Marianne Wheelaghan per E-Mail in Kontakt. Die Autorin hat eine Internetseite und ist bei Twitter zu finden.